Stand: 01.03.2023 15:52 Uhr
Wie und ab wann redet man mit Kindern über Rassismus und Kolonialismus? Die in Ghana geborene und in Kiel aufgewachsenen Autorin Dayan Kodua ist auch als Aktivistin in Schulen unterwegs. Ein Gespräch.
Frau Kodua, welches Feedback bekommen Sie von den Kindern?
Dayan Kodua: Es ist interessant. Ich hatte gestern eine Lesung und einen Workshop in Berlin, und die Kinder aus der dritten und vierten Klasse haben wahnsinnig viele Fragen zu Rassismus gestellt: Wie entsteht Rassismus? Warum existiert das überhaupt? Was ist Diskriminierung? Das war sehr interessant, mich mit den Kindern auszutauschen und viele Kinder fanden das richtig schlecht. Sie waren traurig, dass Menschen ausgegrenzt werden, weil sie so aussehen, wie sie aussehen. Da war mir ganz klar, dass Rassismus, Diskriminierung, ignorantes Verhalten von den Großen kommen, dass das anerzogen ist, weil viele Kinder noch nicht so sozialisiert sind, dass sie denken: Du bist schlecht, weil du dunkel bist oder weil du ein Kopftuch trägst.
Das heißt, die Kinder sind schlauer als wir Erwachsenen.
Kodua: Ich muss ehrlich gestehen, ich finde, die Kinder sind schlauer. Wir haben auch über Sklaverei gesprochen, und viele Kinder waren so schockiert, dass Menschen existiert haben oder vielleicht nach wie vor existieren, die Dinge tun müssen, die sie gar nicht wollen. Ich merke schon, dass die Kinder wirklich schlauer und offener sind als viele erwachsene Menschen.
Das sind alles schwere Themen. Einem sieben- oder achtjährigen Kind zu erzählen, dass da Menschen richtig schlecht behandelt werden, das muss man auf eine bestimmte Art und Weise machen – oder kommen Sie mit der ganzen Grausamkeit?
Kodua: Nein. Gerade was dieses Thematik angeht, da waren die Kinder ein bisschen älter, dritte und vierte Klasse. Aber nichtsdestotrotz spreche ich auf eine ganz empathische Art mit ihnen darüber. Ich finde, wenn ein Kind so sozialisiert ist, dass über Rassismus Bescheid weiß und das auch ausübt, dann finde ich auch, dass das Kind auch in der Lage sein sollte, es auch zu empfangen, dass das nicht geht, dass es damit jemanden wehtun könnte. Deshalb kann man das gar nicht so verallgemeinern. Ich taste mich immer ein bisschen vor: Sind die bereit? Haben sie schon mal davon etwas gehört oder noch nicht? Ich glaube, viele Kinder reden auch zu Hause über Diskriminierung und über Rassismus. Dementsprechend waren – zumindest in diesen Klassen – die Kinder wahnsinnig offen.
Ihnen ist es auch ein Anliegen, gerade für die Kinder, für People of Color Vorbilder sichtbar zu machen, zu zeigen: Andere sehen genauso aus wie ich und führen ein ähnliches Leben. Sie stammen selbst aus Ghana und sind mit zehn Jahren nach Deutschland gekommen – fehlten Ihnen als Kind Identifikationsfiguren?
Kodua: Da würde ich eindeutig ja sagen. Ich bin in Kiel aufgewachsen und zu meiner Zeit habe ich schwarze Menschen, sei es im Radio oder im TV, einfach nicht gesehen. Dementsprechend habe ich damals meine Vorbilder in den USA gesucht oder hatte afrikanische Vorbilder. Das waren Menschen, die ich interessant fand. Erst viel später, als ich Schauspiel in den Staaten studiert habe, habe ich tatsächlich erlebt, dass viele Vorbilder sichtbar sind. Nichtsdestotrotz hatten wir dieser Leute nicht in Deutschland.
Für mich ich es wahnsinnig wichtig, Vorbilder sichtbarer zu machen, besonders schwarze Vorbilder, weil ein Vorbild mir das Gefühl gibt, dass ich das erreichen kann, wovon ich träume. Ein Vorbild ist den Weg gegangen, den ich vielleicht gehen möchte.
Wenn über People of Color berichtet wird, dann gelingt das nicht immer. Es werden viel zu oft noch Stereotype bemüht, oder?
Kodua: Ja, da haben Sie recht. Meine Aufgabe besteht darin, mich auf die positiven Aspekte einfach zu fokussieren und das sichtbarer zu machen. Die Klischees kenne ich, aber wenn ich mich darauf fokussiere, dann glaube ich, dass man gar keine Entwicklung machen kann. Ich möchte ja auch, dass meine Kinder es eines Tages vielleicht ein bisschen leichter haben als ich. Das geht nur, wenn ich in der Lage bin, Dinge so positiv zu verändern, dass ich glücklich bin und auch andere Menschen damit glücklich machen kann.
Wenn Sie Kinderbücher zum Thema Rassismus schreiben, dann ist es vielleicht gar nicht so einfach, selber nicht irgendwelche Klischees zu bedienen, oder?
Kodua: Ich muss dazu sagen, dass meine Kinderbücher das Thema Rassismus überhaupt nicht behandeln, sondern universelle Themen. In dem ersten Buch geht es um Dankbarkeit, um Durchhaltevermögen, um Wertschätzung. Im zweiten Buch geht es um Abschied, um Neubeginn. Das Thema Rassismus ist schon so schwer, und ich kann niemandem damit positiv beeinflussen, wenn ich ständig darüber reden würde. Das ist für mich nur ein Thema, wenn Leute mich fragen, wenn Menschen bereit sind, darüber zu sprechen. Ansonsten versuche ich, alltägliche Momente in den Kinderbüchern zu verarbeiten. Zum Beispiel in dem Buch, das gerade erschienen ist: „Wenn meine Haare sprechen könnten“. Darin geht es um ein Thema, das ich kenne, das meine Kinder kennen und ganz viele andere Menschen, Schwarze als auch nicht Schwarze: wenn Leute ungefragt einfach in die Haare fassen. Das behandelt nicht das Thema Rassismus, aber das ist trotzdem ein Thema, das uns manchmal nervt. Das sind die Themen, die mich interessieren. Ich finde es wichtig, in den Dialog zu gehen – empathische Dialogführung ohne erhobenen Zeigefinger. Das ist nicht mein Absicht.
Das Interview führte Julia Westlake.
https://www.ndr.de/kultur/buch/Kieler-Autorin-Dayan-Kodua-Rassismus-ist-anerzogen,kodua126.html